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Mit Laufschuhen nach Hollywood

Maike Müller
Maike Müller

Schauspielerin, Rebellin und scharfsinnige Erzählerin: Franka Potente wird beim diesjährigen FILMFEST MÜNCHEN mit dem Margot Hielscher Preis geehrt. Im Rahmen der Preisverleihung stellt die vielseitige Künstlerin ihr Langfilmdebüt als Regisseurin HOME vor.

Mit Laufschuhen nach Hollywood

Lola rennt durch Berlin und um das Leben ihres Freundes. In den kurzen Verschnaufpausen starrt die junge Frau entschlossen in die Kamera, die knallroten Wuschelhaare lodern wie Flammen im Wind. Dann läuft sie weiter.

23 Jahre ist es nun her, dass Franka Potente in Tom Tykwers ikonischem Thriller LOLA RENNT über die Leinwand spurtete, dafür unter anderem den Deutschen Filmpreis als Schauspielerin des Jahres erhielt und ihren internationalen Durchbruch feierte. Laut, hektisch und abgedreht war dieser Film, so ganz anders als HOME, Potentes Langfilmdebüt als Regisseurin, das jetzt auf dem FILMFEST MÜNCHEN Premiere feiert. HOME ist unaufdringlich ruhig, vorsichtig – und zeigt, was es bedeutet, wenn man in der Heimat nicht mehr willkommen ist, sie einfach nicht mehr Heimat sein will.

Franka Potente ist Lolas Laufschuhen schon längst entwachsen. Die mittlerweile 46-jährige saust nicht mehr nur als Schauspielerin durch die Filmwelt, sondern auch als Drehbuchautorin, Regisseurin und Schriftstellerin. Sogar musikalisch ist sie – gemeinsam mit Thomas D erhielt sie für den Song „Wish (Komm zu mir)“ aus LOLA RENNT 1998 den MTV Music Award. Für eben jene künstlerische Vielseitigkeit wird sie jetzt mit dem Margot Hielscher Preis ausgezeichnet. 

Franka Potente wuchs in Dülmen, Nordrhein-Westfalen, auf. Sie selbst verließ ihre Heimat unter anderem wegen einer schlimmen Trennung, wie sie Regisseur John Carpenter mit Zigarette in der Hand bei dem TV-Doku-Format „Durch die Nacht mit...“ verriet, und zog nach Los Angeles. Hier hielt sie die Füße auch nicht still, schmuggelte unter anderem als aufgeweckte Flugbegleiterin in BLOW (2001) Drogen und half Matt Damon, DIE BOURNE IDENTITÄT (2002) zu finden. Immer rasant, immer in Action. Die deutschen Flüche, die sie in diesen US-Filmen von sich gibt, erinnern immer wieder an ihre Herkunft. Insgesamt blieb Potente ihren Wurzeln treu und spielte immer wieder spannende Rollen in deutschen Filmproduktionen: zum Beispiel Beate Klarsfeld in DIE HETZJAGD (Premiere beim FILMFEST MÜNCHEN 2008) und eine in diverse Affären verstrickte Bibliothekarin in der Houellebecq-Verfilmung ELEMENTARTEILCHEN (2006).

Autorin ohne Pelz

Ihre Karriere begann in Deutschland mit der Liebeskomödie NACH FÜNF IM URWALD (1995). Für dieses Projekt, das ihr zu Bekanntheit im ganzen Land verhalf, brach sie ihre Schauspiel-Ausbildung an der Otto Falckenberg Schule ab. Wie in ihren Rollen neigt Potente eben auch im echten Leben zum Rebellinnentum. Das machte sie vor allem mit ihrem Engagement bei PETA klar: Für eine Anti-Pelz-Kampagne der Tierschützer:innen ließ sie sich, gemeinsam mit Bela B von der Punkrock-Band „Die Ärzte“, nackt ablichten. Außerdem setzte sie sich unter dem Motto „Arme Sau“ mit provokanten Videos für Veganismus ein.

Um Gesundheit und Fitness bemüht sie sich auch in einem ihrer Bücher, „Kick Ass – das Alternative Workout“ (2009), das sie gemeinsam mit Karsten Schellenberger schrieb. Es soll lehren, wie man den inneren Schweinehund überwindet. Den hat Potente aber offensichtlich schon längst ausgeschaltet. Insgesamt hat sie neben dem Filmemachen bereits vier Bücher veröffentlicht. „Zehn. Stories“ (2010) ist eines davon. Es umfasst zehn Kurzgeschichten, in denen sie ihre Erfahrungen von diversen Reisen nach Tokio und Kyoto verarbeitet. Dabei erzählt sie davon, wie sie die Menschen dort „gefühlt“ wahrgenommen hat: laut in der Öffentlichkeit, leise im Privaten. Jede einzelne Geschichte ist eine sensible Beobachtung kleiner Gesten oder Essgewohnheiten und zeigt ihr großes Interesse an Kultur und Menschen. Ebenso einfühlsam betrachtet sie die USA in ihrem Roman „Allmählich wird es Tag“ (2014) und ihrem in Buchform veröffentlichten Briefwechsel mit Schauspieler, Autor und Dokumentarfilmer Max Urlacher, „Berlin – Los Angeles. Ein Jahr“ (2005). Von wo aus Potente schrieb, ist klar.

Die USA sind Potente neue Heimat geworden. Einmal erzählte sie Harald Schmidt, dass ihr die Art und Vorgehensweisen in Hollywood dennoch immer ein wenig fremd geblieben sind – vermutlich, weil sie sich ihr „Deutschsein“ und ihre Direktheit bewahrt habe und durchaus nicht nur Briefe an Freunde verfasse, sondern auch mal den Produzenten schriebe, wenn ihr etwas nicht passte. Zumindest privat hat sie sich allerdings inzwischen gut eingelebt, ist seit 2012 mit dem Schauspieler Derek Richardson verheiratet und hat mit ihm zwei Töchter.

 

Ein experimenteller Stummfilm und

die Frage nach der Heimat

Ihr Privatleben hält Potente aus der Öffentlichkeit heraus, ihre Kreativität hält sie glücklicherweise nicht zurück. 2006 legte sie ihre erste Regiearbeit vor – den Kurzfilm DER DIE TOLLKIRSCHE AUSGRÄBT. Potente scheint Herausforderungen zu lieben, denn einfach hat sie es sich mit ihrem Erstling nicht gemacht. Er spielt im Jahr 1918, ist ein Stummfilm, mit Texttafeln und Schauspieler:innen die extrem gestikulieren. In diese Welt wirft sie einen Punk, der sehr wohl sprechen kann. Potente schaffte damit nicht weniger als ein 43-minütiges Porträt der Filmwelt, in dem der Stummfilm den Tonfilm küsst.

Für ihre Rollen als Schauspielerin tauchte Potente in zwielichtige Milieus ein, spielte Drogenschmugglerinnen, eine Nazijägerin oder auch mal eine, von präparationsfreudigen Kommilitonen verfolgte, Medizinstudentin in ANATOMIE (2000). In ihrem Langfilm-Regiedebüt HOME, für das sie selbst auch das Drehbuch schrieb, treibt sie nun die Frage um, was nach Action, Mord und Totschlag alles noch kommen mag. In der deutsch-niederländischen Koproduktion kehrt Marvin (Jake McLaughlin) nach einem Gefängnisaufenthalt zurück nach Hause. In der konservativen amerikanischen Kleinstadt wird der Straftäter nicht mit offenen Armen empfangen – außer von seiner Mutter, verkörpert von der großartigen Kathy Bates. Ohne großen Sensationsdrang erzählt Potente diese leise Geschichte, die sich ganz tiefgehend mit den großen Fragen nach Vergebung und Heimat befasst. Franka Potente betrachtet die USA mit einer liebevollen Distanz, mit einem Blick, der ein filmisches Porträt ermöglicht, das ungewöhnlich anders ist.

Rebellin, Thriller-Star, scharfsinnige Autorin und einfühlsame Regisseurin: Franka Potente, die als Lola auf alle Verkehrsmittel verzichtete und sich ganz auf ihre Füße verließ, hat sich durch die Welt raketet – und nun hin zum FILMFEST MÜNCHEN 2021.

Die Verleihung des Margot Hielscher Preises findet am 6. Juli statt.

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