Frei machen


Etablierte Filmemacher:innen und junge Talente entführen uns in Welten, in denen sich das Individuum gegen Übergriffe von außen auflehnt, mit sehnsüchtigem Blick auf eine möglich erscheinende Utopie, oder versucht, sich von den eigenen inneren Repressionen zu befreien.
Auch die Künstler:innen entfesseln sich und ihre Bildsprache: mal subtil, mal exzessiv, aber immer verspielt, jenseits einer grauen Darstellung des Alltäglichen. Hybride Formen, die Lust am Performativen und die Gegenüberstellung alternativer Realitäten zeugen davon.
Bereits die beiden Beiträge, die am 24. Juni die Reihe eröffnen, stellen Säulen der diesjährigen Auswahl dar: GOTT IST EIN KÄFER ist ein präzise inszenierter Spielfilm, der dokumentarische Elemente in seine fiktionale Erzählung über tiefe Glaubensfragen einwebt, während SOLASTALGIA mit kunstvoller Bildgestaltung das Lebensgefühl einer ganzen Generation zwischen Aktivismus und Ohnmacht einfängt. Beides Abschlussfilme von Absolvent:innen der Hochschule für Fernsehen und Film München – Felix Herrmann und Marina Hufnagel –, die auf der Suche nach einem originären Ausdruck mühelos mit der Form spielen und einen nachhaltigen Eindruck vom jungen deutschen Film hinterlassen.

Gott ist ein Käfer

Solastalgia

Alle wollen geliebt werden
Filmfest-Allstar Anne Ratte-Polle spielt in ALLE WOLLEN GELIEBT WERDEN von Katharina Woll eine Mutter/Therapeutin/Ehefrau, die es allen recht machen will und sich dabei selbst zu vergessen droht; ein pointiertes Psychogramm voll leiser Spannung, das nie seine feine Linie und Leichtigkeit verliert. Thematisch verwandt, und doch ganz anders, ist MUTTER von Carolin Schmitz, in der auf verblüffende Weise acht authentische Gesprächsmitschnitte übers Muttersein zu einem gigantischen Mosaik zusammengesetzt werden – von niemand Geringerem als Anke Engelke!
In der diesjährigen Auswahl liegt ein starker Schwerpunkt auf dem Performativen. In SERVUS PAPA, SEE YOU IN HELL von Christopher Roth trifft die Postmoderne auf Punk. Der Film zeigt uns eine authentische Ausbruchsgeschichte, in der Exzess und Eskalation zu einem Kräftespiel zwischen Kommunenguru (Clemens Schick) und rebellischem Mädchen (Jana McKinnon) führen. Sophie Linnenbaums THE ORDINARIES ist eine schräge, aufwendig inszenierte Meta-Parabel, die erzählerisch und visuell nur so vor Ideen sprüht und dabei vielerlei Bezüge zu aktuellen Diskursen beinhaltet. Zu guter Letzt stellt Oliver Grüttner in PERFORMER seine Sicht der Vorbereitung eines Attentats dar, ohne in die Psychologisierungsfalle zu tappen – ein messerscharfer Blick in die Abgründe toxischer Maskulinität, der über die Laufzeit von nur 55 Minuten mehr fesselt als manch „großer“ Kinofilm.

Mutter

Servus Papa - See you in hell

The Ordinaries
Apropos: NICHT GANZ KOSCHER – EINE GÖTTLICHE KOMÖDIE von Stefan Sarazin und Peter Keller ist tatsächlich großes Kino, eine abenteuerreiche und zugleich ungewöhnliche Culture-Clash-Buddy-Komödie mitten im Heiligen Land, unlängst mit dem Bayerischen Filmpreis für Produktion ausgezeichnet. Ebenso DER RUSSE IST EINER, DER BIRKEN LIEBT von Pola Beck, eine intensive Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers übers Suchen und Finden von Liebe und Heimat in Form eines tragikomischen Roadtrips. WUT AUF KUBA, der Abschlussfilm von HFF-Absolventin Naira Cavero Orihuel, passt mit seinen wuchtigen Cinemascope-Bildern wie selbstverständlich in diese Reihung: ein rohes, faszinierendes Drama einer Frau auf der Suche nach sich selbst.
Das Neue Deutsche Kino begrüßt auch zwei Rückkehrer:innen, die einst mit ihrem Debüt jeweils den Förderpreis Regie gewinnen konnten: Timo Müller, Regisseur von MORSCHOLZ, fängt mit seiner Kamera die geheimnisvolle Wirkung ein, die DER ROTE BERG auf seine Umwelt zu haben scheint, während Hanna Doose, Regisseurin von STAUB AUF UNSEREN HERZEN, in WANN KOMMST DU MEINE WUNDEN KÜSSEN ein tragikomisch und lebensnah inszeniertes Lebensentwurfsdrama mit deutschen Stars (Bibiana Beglau, Alexander Fehling, Katarina Schröter) im Improvisationsmodus vorstellt.

Performer

Nicht ganz koscher - eine göttliche Komödie

Der Russe ist einer, der Birken liebt
Die Reihe beschließt Rosa von Praunheims Schlagersängerbiografie REX GILDO – DER LETZTE TANZ, in der der Altmeister von einem Leben zwischen öffentlichem Auftritt und privaten Sehnsüchten erzählt, und dies in einer typischen Mischung aus Dokumentar- und Spielfilmelementen – womit er zugleich die Klammer zu den beiden Eröffnungsfilmen schließt.
Komplettiert wird das Programm von zwei erkenntnisreichen und bewegenden „reinen“ Dokumentarfilmen: In ELFRIEDE JELINEK – DIE SPRACHE VON DER LEINE LASSEN wird mit virtuosen Montagetechniken eine Annäherung an die faszinierende wie widersprüchliche Persönlichkeit der Nobelpreisträgerin versucht, während LIEBE ANGST eine sich über drei Generationen erstreckende und von der Shoah gezeichnete Familientragödie abbildet, der man sich schlichtweg nicht entziehen kann.

Wut auf Kuba

Der rote Berg

Wann kommst du meine Wunden küssen
In der Reihe Neues Deutsches Kino feierten Publikums- und Kritikererfolge wie WER FRÜHER STIRBT IST LÄNGER TOT, OH BOY, LOVE STEAKS, WIR SIND DIE NEUEN oder ALLES IST GUT ihre Weltpremiere.
Die Spielfilme dieser Reihe konkurrieren um den hochdotierten Förderpreis Neues Deutsches Kino in den Kategorien Regie, Produktion, Drehbuch und Schauspiel.

Rex Gildo - der letzte Tanz

Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen
