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AM ENDE STEHT DAS GLÜCK

Tobias Obermeier
Tobias Obermeier

Das FILMFEST MÜNCHEN widmet der Regisseurin Doris Dörrie eine Hommage

AM ENDE STEHT DAS GLÜCK

Wie wäre das Leben wohl verlaufen, wenn ich mich an dem einen oder anderen Punkt doch anders entschieden hätte? Eine Frage, die wohl jeder kennt und die sich auch Hannelore Elsner als Trudi in KIRSCHBLÜTEN – HANAMI stellt. Anstatt ihrem Traum nachzugehen, eine Butoh-Tänzerin zu werden und Japan zu bereisen, entschied sie sich dafür, mit ihrem Mann Rudi (Elmar Wepper) in der bayerischen Provinz zu bleiben und dort ein beschauliches und ruhiges Leben zu führen. So wie Rudi es eben wollte. „Ihm ist es am liebsten, wenn sich nie etwas verändert. Nie. Nix. Gar nix“, beschreibt Trudi ihn zu Beginn des Films. Sie opferte ihre Wünsche seiner Bequemlichkeit. Die Sehnsucht nach einer anderen, aufregenderen Existenz aber verschwand nie.

Doris Dörrie ist eine unverkennbare Expertin, wenn es darum geht, der Frage nach dem versäumten Leben nachzugehen. Bereits in ihrem Episodenfilm BIN ICH SCHÖN? von 1998 zeigt sie ihr Gespür für Tragik und absurde Komik gleichermaßen, wenn ihre Figuren versuchen, aus den eigenen festgefahrenen Bahnen auszubrechen und nicht selten daran scheitern. Da ist die Tramperin Linda (Franka Potente), die sich als Taubstumme durch Spanien lügt. Und Klaus (Steffen Wink), der verzweifelt versucht, seine Ex-Freundin Franziska (Anica Dobra) zurückzugewinnen. Doch die heiratet einen anderen. Oder Rita (Iris Berben), die den Sex mit ihrem Ehemann (Oliver Nägele) schnell hinter sich bringen will, um noch vor Ladenschluss den roten Kaschmirpullover kaufen zu können, in den sie sich hinein gehungert hat.

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Bin ich schön? ((1998)

All diese Episoden und noch einige mehr verwebt Dörrie – ähnlich wie in ihrem gleichnamigen Erzählband, auf dem der Film basiert – zu einem Mosaik aus einsamen und von ihren Erfahrungen gezeichneten Menschen, die mit sich hadern, trauern, mit Verlust kämpfen und immer auch auf der Suche nach dem (verlorenen) Glück sind. Der Film changiert dabei leichtfüßig zwischen Tragödie und Komödie.

Für BIN ICH SCHÖN? erhielt Dörrie 1998 den Bayerischen Filmpreis für das beste Drehbuch – einer von vielen Preisen in ihrer Karriere. Ihr Langfilm-Debüt war MÄNNER (1985), eine liebevoll-ironische Komödie, die sich über die großen und kleinen Eitelkeiten der Männer lustig macht. Der Film wurde Dörries erster großer Erfolg und lockte über sechs Millionen Menschen in die Kinos. Heiner Lauterbach und Uwe Ochsenknecht wurden zu Stars und erhielten den Deutschen Filmpreis als beste Darsteller. Dörrie gewann den Preis für das beste Drehbuch.

In ihrem filmischen Schaffen schimmert auch immer wieder die Literatin Doris Dörrie durch. Sie schrieb die Drehbücher zu über 20 Kinofilmen und publizierte ebenso viele literarische Werke, darunter einige Kurzgeschichten-Sammlungen. Seit 1997 leitet sie zudem an der Hochschule für Fernsehen und Film München, an der sie auch studierte, den Lehrstuhl Creative Writing.

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Mitten ins Herz (1983)

Dörries literarisches Geschick zeigt sich allein schon in den ungewöhnlichen Prämissen ihrer Filme und den pointierten One-Linern ihrer Figuren. Bereits in ihrem Spielfilmdebüt MITTEN INS HERZ (1983) zeigt sie ihr Talent für eine klug ausbalancierte Stimmung zwischen Tragik und Komik auf großartige Weise. Die 22-jährige Anna Blume erhält ein verlockendes Angebot: Der Zahnarzt Dr. Armin Thal bietet ihr 2500 D-Mark im Monat und kostenloses Wohnen in seinem Haus an. Keine weiteren Verpflichtungen. Vor allem keine Gefühle und erst recht keine Beziehung. Als Anna Armin fragt, warum er glaube, dass sie sich auf das Geschäft einlassen werde, antwortet er, unvergleichlich lakonisch und bayrisch-trocken gespielt von Josef Bierbichler: „Weil ich davon ausgehe, dass Sie ein ziemlich faules Geschöpf sind.“

Dörrie lässt hier ein sehr ungewöhnliches Paar aufeinandertreffen. Vor allem Anna ist schwer zu greifen. Sie hat ihren eigenen Willen, lässt sich die Haare blau färben, zeigt sich streitlustig. Als sich Armin über ihren aufgebrachten Zustand einmal aufregt, kontert sie treffsicher: „Das ist kein Zustand. Das bin ich.“

Die emanzipierte Eigensinnigkeit der Frauenfiguren zeigt sich auch in Dörries neuem Film FREIBAD (2022). Im einzigen Frauenbad Deutschlands treffen, anhand der Badekleidung erkennbar, die unterschiedlichsten Vorstellungen des Frauseins und des weiblichen Körpers aufeinander. Dass es zu Reibereien in diesem gesellschaftlichen Mikrokosmos kommt, ist vorprogrammiert. Mit scharfsinnigem Humor filetiert Dörrie hier die aufgeheizte Debatte um Identitätspolitik, Toleranz und Gleichberechtigung in ihre Einzelteile, ohne die Konflikte und einzelnen Positionen je kleinzureden.

 

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Nilam Farooq in Freibad

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Maria Happel und Andrea Sawatzki in Freibad

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Lisa Wagner, Nico Stank und Melodie Wakivuamina in Freibad

Dörrie ist eine virtuose Grenzgängerin, nicht nur zwischen Unterhaltungskino und Arthouse. Auch mit ihren bisher sieben Operninszenierungen sorgte sie immer wieder für Aufsehen. 2005 inszenierte sie Giuseppe Verdis „Rigoletto" an der Bayerischen Staatsoper und versetzte die Handlung in eine Science-Fiction-Welt irgendwo zwischen PLANET DER AFFEN, STAR WARS und KING KONG. Das Premierenpublikum reagierte auf die Inszenierung mit viel Applaus, aber auch Buh-Rufen – heute hat sie Kult-Status.

Als Regisseurin und Drehbuchautorin gehört die gebürtige Hannoveranerin mit ihrer unverwechselbaren Handschrift zu den großen Autorenfilmer:innen Deutschlands. Dabei scheut sie auch nie vor großen, emotionalen Gesten zurück. Als in KIRSCHBLÜTEN – HANAMI Trudi unerwartet stirbt, macht sich Rudi alleine auf den Weg nach Japan, um an ihrer Stelle das Leben nachzuholen, das sie nie leben konnte. Selbst schwerkrank steht er dann mit gebleichtem Gesicht und den Kimono seiner Frau tragend am Seeufer und tanzt in langsamen, sachten Bewegungen den Butoh. Genau dort, in dieser atemberaubenden Kulisse, mit dem schneebedeckten Gipfel des Fujiyama im Hintergrund, entsteht ein Moment absoluter Erhabenheit. Ein Moment des großen Glücks, den Dörrie nur kurz andauern lässt, ehe er wieder verschwindet. Ein Moment, der so flüchtig ist wie das Leben.

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