Jessica Lange: Vom Archetyp zur Charakterdarstellerin
Foto: Frank Ockenfels
Wer seine Filmkarriere als Frau in der Faust des verliebten Affen King Kong begonnen hat, der weiß, was es bedeutet als blonder Archetyp gesehen zu werden. Jessica Lange setzte jedoch ihre Schönheit und Ausstrahlung nicht weiterhin für Varianten der Jungfrau in Nöten ein. Wie keine andere Schauspielerin ihrer Generation war sie in der Lage, das Stereotyp der attraktiven Blondine neu zu interpretieren. Sei es als untreue, mordende Ehefrau in THE POSTMAN ALWAYS RINGS TWICE oder als alleinerziehende Mutter und Schauspielsternchen in TOOTSIE. Jessica Lange zeigte plötzlich Frauenfiguren, deren Konflikte weit über die idealisierte Optik hinauswiesen: unabhängige, moderne, clevere Frauen, denen ihre Schönheit vielleicht half, aber nicht ihre Probleme löste.
Als Frances Farmer erzählte sie die wahre Lebensgeschichte der talentierten Hollywood-Schauspielerin, die im Studiosystem zugrunde ging. Schon als Sechzehnjährige gewann Farmer bei einem Essay-Wettbewerb mit einem Text, der die Existenz Gottes in Frage stellte. Keine sehr gesellschaftsfähige Haltung für eine junge Frau im Seattle der Zwanzigerjahre. Farmer galt als politisch fragwürdig, aber auch als talentiert und schön. So kam es zu einem Studiovertrag mit Paramount, der ihr Unsinniges abverlangte und aggressive Klatschreporter auf den Hals hetzte. Sie endete in einer Psychiatrie. Diese erste große Hauptrolle in Jessica Langes Karriere bereitete sie akribisch mit ihrer Schauspieltrainerin vor, während sie ihre neugeborene Tochter noch stillte. Auch die Mutter-Tochter-Konstellation mit ihrem Schauspielidol Kim Stanley sollte ihr Glück und Inspiration bringen. Im Erscheinungsjahr 1983 war Jessica Lange gleich für zwei Oscars nominiert: als beste Hauptdarstellerin in FRANCES und für die beste Nebenrolle in TOOTSIE. Letzterer brachte ihr sogar die erste Academy Trophäe ein und wurde der kommerziell erfolgreichste Film ihrer Karriere.
Den zweiten Oscar gewann Jessica Lange für ihre Hauptrolle in OPERATION BLUE SKY. Carly Marshall ist darin die bipolare Ehefrau eines US-Army Majors, die mit ihrer teils extrovertierten Persönlichkeit das Leben auf der Militärbasis aufmischt. Die Unzuverlässigkeit und Untreue der psychisch instabilen Carly werden nur durch ihre extravaganten Auftritte im Stile bekannter Filmstars wie Marilyn Monroe überstrahlt. Die gefährliche, aber auch gewinnende Kombination verkörpert Jessica Lange mit voller Leidenschaft.
Jessica Langes beeindruckende Karriere umspannt mehr als vier Dekaden und wird von zwei Oscars, fünf Golden Globes, drei Emmys und einem Tony gekrönt. Das FILMFEST MÜNCHEN präsentiert Schauspielstar Jessica Lange zusätzlich von einer weniger bekannten Seite. Seit Jahren arbeitet sie auch als erfolgreiche Fotografin, hat bereits vier Bildbände veröffentlicht. Mit ausgewählten Schwarzweiß-Fotografien ihres neuen Bildbands „Dérive“ kommt sie nun ins Deutsche Theatermuseum am Münchner Hofgarten. Im Fokus der Ausstellung stehen dabei Arbeiten, die Jessica Lange während des Lockdowns in New York City fotografierte. Der Big Apple und die überfüllten, dicht bevölkerten Straßen wurden durch die Pandemie ihres Charakters beraubt. Fotografin Jessica Lange fängt die rohe und verwaiste Natur der ikonischen Querstraßen Manhattans ein: ein spärlich besetzter Bürgersteig, ein Open-Schild, das falsche Hoffnungen macht oder ein zum Stillstand gezwungenes Karussell. Am 1. Juli 2024 wird die Ausstellung mit einer Vernissage in Anwesenheit der Künstlerin selbst im Deutschen Theatermuseum eröffnet und kann bis zum 8. September 2024 besucht werden.
Das FILMFEST MÜNCHEN zeigt drei von Jessica Lange selbst ausgewählte Lieblingstitel aus ihrer großen Hollywood-Karriere. Zu EIN ABEND MIT JESSICA LANGE wird sie höchstpersönlich zum ausführlichen Gespräch und der Verleihung des CineMerit Award live auf der Bühne sein. Wir freuen uns schon darauf!