Dem Trott zum Trotz
Es geht um Dörfer. Solche, die bis aufs Blut verteidigt werden. Oder solche, die man verlassen will, aber es nicht schafft. Stinknormale Dörfer eben, die genauso einengen, wie beschützen können. Auf dem diesjährigen FILMFEST MÜNCHEN werden sie und ihre Bewohner:innen auf unterschiedliche Weise porträtiert: mal als Rückzugsort für die Einsamen, dann als von der Klimakrise bedrohtes Biotop, anderswo als sicherer Hafen für Aussteiger:innen.
Dort, wo alles wie immer ist, liegt Wiesenwalde. Doch auf einmal träumt man in der deutschen Provinz von Hollywood. Der Duft der großen weiten Welt liegt in der Luft. Eine Serie wird vor Ort gedreht und bringt den Alltagstrott gehörig durcheinander. Der Plot ist klar: Es herrscht Krieg, vor der Kamera und im Kaff. Ein Stromausfall sorgt für Unruhe, ein Journalist wittert die große Story und alte Kriegsbeile werden ausgegraben. Vor dem Rathaus wurde ein Panzer vergessen: „Wem gehört der eigentlich?“, fragt sich die Bürgermeisterin und das Chaos ist perfekt. ANOTHER GERMAN TANK STORY zeichnet das Panorama eines kargen Dorfes, in dem selbst der kleinste „Dorftrottel“ plötzlich eine große Rolle spielt.
Dörfer sind aber auch Orte zum Verstecken, wo man sich zurückziehen oder etwas verbergen kann. BEYOND THE FOG zeigt: Was im Stillen passiert, birgt eine ungeheure Kraft. Da, wo Berge hoch sind und Nebel den Blick verhängt. Da, wo die Aussicht seit Jahrzehnten dieselbe ist, und nichts vergeht außer der Zeit, leben Shige und seine Schwiegertochter Saki. In diesem Niemandsland, einem ehemals beliebten Ziel auf Wandertouren, betreiben die beiden eine Herberge. Als Shige eines Tages verschwindet, muss Saki, die nun allein ihre Tochter Ihika aufzieht, sich entscheiden: Will sie dieses Leben fortführen? Und wie kann sie der so vertrauten Aussicht neue Einsicht abgewinnen?
Another German Tank Story
Beyond the fog
Einen anderen intimen Blick aufs Land gewährt MILCH INS FEUER. Zwischen Kuhställen, Ackern und Seen lebt Katinka. Der Natur und ihren Kreisläufen nahe, ist sie ob des brütend heißen Sommers besorgt. Auf welch wackligen Beinen die ländliche Idylle steht, wird schnell deutlich: Der Regen bleibt aus, die Kühe geben weniger Milch, der Hof rentiert sich nicht. Doch davon lässt sich Katinka ihren Traum nicht nehmen. Sie trotzt den schlechten Vorhersagen für ihre Zukunft, hält am Familienbetrieb fest und schließt ihre Ausbildung zur Landwirtin ab. Katinka bewirtschaftet die überlieferten Orte, die ihr geblieben sind. Auf dem Land, wo Feuer mit Milch gelöscht wird. Zwischen Zuversicht und dem absurden Versuch, eine Vergangenheit festzuhalten, die einem wie Wasser durch die Finger rinnt.
Gras, Bäume, Ziegen, so weit das Auge reicht. Die unberührte Gegend Sardiniens. Dort betreibt ANNA einen kleinen Hof, während sie nachts in der Dorfkneipe tanzt. Sie hütet das Stück Land wie einen Schatz. Ihre Freiheit, ihre Stärke und ihre Familiengeschichte sind damit unmittelbar verknüpft. Aber Anna läuft die Zeit davon. Ihr kleines Paradies steht kurz vor der Zerstörung. Als Bagger neben ihrem Hof vorfahren, muss sie es mit einer riesigen Maschinerie aufnehmen: Immobilienhaie, die dort ein Mega-Resort planen. Das Großprojekt zwingt sie dazu, den wildesten Kampf ihres Lebens zu führen. Das Recht auf ein Zuhause – und sei die Erfolgschance noch so klein – verteidigt Anna mit all ihrer Kraft. Das Porträt einer unverfrorenen Revolte!
Milch ins Feuer
Anna
Continente
Von Sardinien geht es in CONTINENTE in ein entlegenes Dorf der brasilianischen Prärie: Amanda kehrt nach Jahren im Ausland mit ihrem Freund Martin auf die Farm ihrer Familie zurück. Während ihr Vater, der Farmbesitzer, im Sterben liegt, besänftigt Helô, die einzige Ärztin der Gegend, seine Angestellten. Bald verstricken sich Amanda, Martin und Helô in ein mysteriöses Ritual zwischen dem Dorf und den Farmbesitzern. Aus der brasilianischen Weite wird blutrünstiger postkolonialer Horror. Amandas Erbe scheint, ihr über den Kopf zu wachsen.
Sei es aus Wiesenwalde, Sardinien oder Brasilien – der Blick, den diese Filme wagen, verhaftet nicht im kleinen dörflichen Rahmen, sondern wirft große Fragen auf: Was hält unsere Gemeinschaften zusammen? Und wie wollen wir im Angesicht zukünftiger und aktueller Krisen zusammenleben? Eins ist klar, jede Gemeinschaft braucht ihre Übereinkünfte, ihre Rituale, aber auch eine Garantie fürs Überleben.