SEI EINFACH DU SELBST

DBAU0069

Andreas Ströhl

Leiter des Filmfest von 2004 bis 2011

Ich habe natürlich viele Erinnerungen an meine Zeit beim Filmfest München, auch an die Begegnungen mit unseren Gästen. Besonders eingeprägt hat sich mir Abel Ferrara. Er ist ja eine Ikone des US-Independent-Kinos, bekannt für seinen schrägen Lebenswandel. 2008 war er bei uns zu Gast. Ich habe ihn damals zufällig schon vor der Vorstellung seines Films getroffen, als er im Hotel Bayerischer Hof eincheckte. Man muss dazu wissen, dass Abel mit einer kleinen Entourage unterwegs war, bestehend aus Frankie, einem zweieinhalb bis drei Zentner schweren Italoamerikaner, der in New York angeblich mehrere Restaurants besaß. Frankie hatte wiederum eine anämisch wirkende Siebzehnjährige dabei, die angeblich eine angehende Schauspielerin war. Es war alles leicht dubios und eindeutig mafiös.

Abel und ich haben kurz miteinander geredet. Er war eigentlich sehr nett, meinte aber nach ungefähr einer Minute zu mir, mit dieser Stimme, die immer so leicht angegriffen klingt: „And what about the money, Andreas, what about the money?“ Ich wusste gar nicht, was er meinte, sagte ihm dann, dass es kein Geld von uns gäbe, weil das ja auch gar nicht nötig sei. Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass er eine Gästebetreuerin habe, die sich um ihn kümmern würde. Wir wollten ihm Bella Obermaier zur Seite stellen, weil sie selbst in den Siebzigern einige Zeit in New York verbracht hatte und gut mit solchen Gästen umgehen konnte. Als er sie aber sah, wurde er noch ungehaltener. Ich glaube, er hatte sich eine Achtzehnjährige im Minirock vorgestellt, jedenfalls begann er im Hotel Bayerischer Hof lauthals zu schimpfen, was das für ein Drecksladen hier sei und dass er doch unbedingt Geld bräuchte!

Was er damit vermutlich kaufen wollte, hat mir Bella dann gesteckt, ich muss da glaube ich gar nicht weiter ins Detail gehen. Jedenfalls habe ich mit Abel am nächsten Tag gefrühstückt und hatte auch etwas Tagesgeld dabei. Er war plötzlich wie ausgetauscht, überaus freundlich, und sagte zu mir: „Okay, Andreas, what do I have to do? What do you want me to do?“ Ich erwiderte: “Oh, just be yourself.”

Er hat mich ungefähr zehn Sekunden völlig ausdruckslos angestarrt – und hat dann so schallend gelacht, dass der Betrieb im Hotel Bayerischer Hof kurz stillstand. Ich vermute, dass ich der Erste war, der jemals zu Abel Ferrara gesagt hatte, dass er ganz er selbst sein solle. Er gilt ja als „enfant terrible“, vermutlich bittet ihn sein Umfeld sonst eher um Zurückhaltung und gutes Benehmen. Er fand meinen Satz total lustig – und war dann die restliche Zeit so handzahm wie ein Küken.

FFM2008 G Abelferrara 05 BS