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Magisch und meisterhaft

Fabio Kühnemuth
Fabio Kühnemuth

Zehn Filme aus neun verschiedenen Ländern rund um den Globus – das garantiert maximale Abwechslung und Vielfalt von (Erzähl-)Perspektiven im diesjährigen Wettbewerb CineMasters. Inhaltlich spielen Queerness und surreale Einbrüche in den Alltag eine große Rolle, wobei die einzigartigen Geschichten nicht selten in Form von Genrefilmen erzählt werden. 

Magisch und meisterhaft

Strahlender Sonnenschein, ein traumhafter französischer Strand und die erste jugendliche Romanze, kurz, aber umso intensiver: Die unbeschwerte sommerliche Idylle in François Ozons neuem Film SOMMER 85 versetzt das Publikum sofort in Urlaubsstimmung. Dabei ist die einfühlsam wie humorvoll erzählte queere Jugendliebe zwischen dem 16-jährigen Alexis und dem etwas älteren David gespickt mit Selbstzitaten aus dem einzigartigen filmischen Universum Ozons und wechselt spielerisch zwischen Romanze, Melodram und Komödie. Abgerundet wird diese filmische Reise vom fantastischen Soundtrack, der die Geschichte eindeutig in den 80ern verortet.

Auch die zwei anderen Filme im Wettbewerb, die sich mit dem Thema Queerness befassen, werfen einen fiktionalen Blick zurück in die Vergangenheit und sagen zugleich etwas aus über das Hier und Jetzt: So spielt SAINT-NARCISSE des Kultregisseurs Bruce LaBruce im kanadischen Québec der frühen 1970er Jahre, könnte aber im Zeitalter von Selfies und permanenter Selbstdarstellung nicht aktueller sein. Der selbstverliebte Dominic macht unablässig Selfies mit seiner Polaroidkamera und ist überhaupt schwer verliebt in sein Spiegelbild, das ihm plötzlich gar wahrhaftig gegenübersteht. Handelt es sich bei dem Doppelgänger um seinen Zwillingsbruder oder ist er nur eine Ausgeburt von Dominics narzisstischer Fantasie? Die Antwort liegt am Ende dieses anarchistischen, queeren Trips.

Ruhiger, aber nicht weniger kraftvoll ist das intime Biopic TOVE. Regisseurin Zaida Bergroth erzählt darin vom bewegten und bewegenden Leben der finnischen Zeichnerin Tove Jansson, der Schöpferin der weltbekannten „Mumins“. Trotz ihres Welterfolgs ist die sensible Künstlerin von Selbstzweifeln in Bezug auf ihr Schaffen geplagt. Die die halten sie nicht davon ab, sich bewusst über die konservativen gesellschaftlichen und künstlerischen Konventionen der Nachkriegszeit hinweg zu setzen, nicht zuletzt durch den selbstverständlichen Umgang mit der eigenen Bisexualität.

 

Genre-Kino aus aller Welt

In Hochform und unter Hochspannung präsentiert sich das internationale Genre-Kino im diesjährigen Wettbewerb CineMasters. Auch hier betten die Filmschaffenden ihre spannungsreichen Geschichten mit Vorliebe in ein historisches Setting ein. So etwa Kiyoshi Kurosawa in seinem atmosphärisch dichten Agentenfilm WIFE OF A SPY. Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs im Japan der 1940er Jahre vermischt Kurosawa Thriller-Elemente mit solchen des Melodrams und spinnt ein dichtes wie elegantes Netz aus Intrigen und Verdacht. Nicht minder meisterlich inszeniert ist der neueste Film von Dominik Moll. Sein virtuoses Spiel mit Zeitebenen und Erzählsträngen macht DIE VERSCHWUNDENE zu einem vielschichtigen Kriminalfilm, bei dem sich die Puzzlestücke erst spät zu einem überraschenden Gesamtbild zusammensetzen.

Vor einem Rätsel stehen auch die HELDEN DER WAHRSCHEINLICHKEIT in Anders Thomas Jensens gleichnamigem neuen Film. Nach dem tragischen Tod seiner Frau empfindet Familienvater Martin – grandios gespielt von Superstar Mads Mikkelsen – eine tiefe Leere. Doch sein Leben bekommt einen neuen Antrieb, als drei kuriose Außenseiter vor seiner Tür stehen und ihn davon überzeugen wollen, dass der Tod seiner Frau kein Unfall war. Zwischen Sinnsuche und Selbstjustiz schmiedet die schrullige Schicksalsgemeinschaft einen Racheplan. Dass das alles nicht nur tragisch, sondern auch sehr komisch ist, verdankt der Film seinem Darstellerensemble sowie Jensens einzigartigem Sinn für schwarzen Humor.

Während Markus also die Ereignisse der Vergangenheit aktiv aufrollt, zeigt Jayro Bustamantes Horror-Thriller LA LLORONA aus Guatemala auf fast schon beklemmende Weise, wie die (eigene) Vergangenheit Menschen auch verfolgen und sogar gefangen halten kann. Nicht nur metaphorisch, sondern ganz buchstäblich gefangen ist ein alternder General hier mit seiner Familie. Der Patriarch wurde zwar vom Vorwurf der Kriegsverbrechen freigesprochen, doch nun belagert eine wütende Menge sein Haus. Die Nerven liegen bei allen Beteiligten blank und die mysteriösen Vorkommnisse häufen sich. Vor dem Hintergrund des Folklore-Mythos von „La Llorona“ und mit Blick auf die reale Militärdiktatur erzählt Regisseur Jayro Bustamante eine packende Rachegeschichte – ganz anders als in HELDEN DER WAHRSCHEINLICHKEIT, aber nicht weniger eindringlich.

 

Magische Momente

Auch in einem weiteren Wettbewerbsfilm aus Lateinamerika wird die politische Geschichte eines Landes unter einer Militärdiktatur thematisiert – in diesem Fall in Uruguay. Die Tragikomödie ASÍ HABLÓ EL CAMBISTA von Federico Veiroj basiert auf wahren Begebenheiten und erzählt mit einer gehörigen Portion Humor die Geschichte des Kriminellen Humberto Brause, der im Montevideo der 1970er Jahre mit Geldwäsche und Devisenhandel das große Geld machen will.

Komplettiert wird das hochkarätige Feld der lateinamerikanischen Beiträge von EL PERRO QUE NO CALLA der argentinischen Regisseurin Ana Katz. In ihrer stoischen wie surrealen Komödie erzählt sie mit trockenem Humor vom etwas ziel- und orientierungslosen Millennial Sebastián. Dieser wohnt mit seinem titelgebenden Hund, der einfach nicht die Klappe halten will, in Buenos Aires und hat die typischen Probleme eines Thirtysomethings. Zumindest bis plötzlich eine Katastrophe naht, die die ganze Menschheit bedroht. In SUN CHILDREN, dem neuen Film des iranischen Meisterregisseurs Majid Majidi, erfahren der 12-jährige Ali und seine Clique von einem geheimnisvollen Schatz, der unter einer Schule vergraben sein soll. Kurzentschlossen melden sich die Jungs dort an, um auf dem Gelände graben zu können.

Es eint mehrere Filme im diesjährigen Wettbewerb CineMasters, dass sie zwar in der Realität – sei es eine historische oder eine gegenwärtige – beginnen, sich in diese Wirklichkeit jedoch nach und nach surreale, groteske oder auch magische Momente mischen. Und genau das ist es doch, was die ganz eigene Magie des Films und des Kinos ausmacht.

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