Zurückschauen, um die Gegenwart zu verstehen
ORDNUNG
Foto: Bert Schmidt
Als etablierte Kulturinstitution bietet das FILMFEST MÜNCHEN seit jeher einen Raum für respektvollen Austausch unterschiedlicher Perspektiven. Neben rund 150 Filmen, von denen sich viele mit gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen, gibt es auch dieses Jahr wieder Panels und Q&A-Sessions mit Filmschaffenden und Expert:innen, die einen Blick auf die Herausforderungen unserer Zeit werfen.
„Die letzten Jahre haben mit aller Deutlichkeit gezeigt: Unsere Demokratie ist verletzbar! Umso wichtiger ist es, die Stärke des Films zu nutzen, um antidemokratischen Tendenzen etwas entgegenzusetzen. Filme fangen die Vielfalt der Welt ein und ermöglichen einen Perspektivwechsel. So werden Grenzen, die unüberwindbar scheinen, durchbrochen. So entsteht Verständigung und Dialog!”, sagen Christoph Gröner, Festivalleiter und Julia Weigl, Künstlerische Co-Leiterin FILMFEST MÜNCHEN.
Um die gegenwärtigen Entwicklungen einordnen zu können, ist die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit unerlässlich. Denn diese zeigt, wie schnell demokratische Strukturen zerstört werden können – 1933 dauerte es nur wenige Monate – und was auf dem Spiel steht, wenn Faschismus sich ausbreitet. Das diesjährige FILMFEST MÜNCHEN zeigt daher einer Vielzahl von Filmen und Serien, die den Nationalsozialismus thematisieren.
THE SPOILS
FÜHRER UND VERFÜHRER
Foto: Stephan Pick/Zeitsprung Pictures/SWR/Wild Bunch Germany
FÜHRER UND VERFÜHRER blickt hinter die Kulissen des NS-Regimes, insbesondere auf die Manipulationsstrategien von Joseph Goebbels. Der damalige Reichspropagandaleiter ist einer der Hauptverantwortlichen für den Holocaust. Früh erkannte er die Macht der Bilder und nutzte sie bewusst für seine ideologische Kriegsführung. Im Film werden Spielszenen, Archivaufnahmen und Zeitzeug:innenberichte kombiniert, um die Mechanismen von Propaganda aufzuzeigen.
In THE SPOILS widmet sich Regisseur Jamie Kastner der NS-Raubkunst. Bis heute wird darüber gestritten, wem diese gehört. Als Ausgangspunkt für seinen Film dient Kastner die 2021 eröffnete Ausstellung zu Ehren des jüdischen Kunsthändlers Max Stern im Düsseldorfer Stadtmuseum. Es ist ein Dokumentarfilm über Besitzverhältnisse und Moral.
DIE FOTOGRAFIN
Foto: Kimberly French/Sky UK Ltd
DIE ERMITTLUNG
Foto: Hans-Joachim Pfeiffer
TURMSCHATTEN
Foto: Jürgen Olczyk
Der Film DIE FOTOGRAFIN ist ein intensives Charakterporträt über die Kriegsfotografin Lee Miller, mitproduziert und dargestellt von der diesjährigen CineMerit-Preisträgerin Kate Winslet. Als eine der ersten dokumentierte Miller die Schrecken der Lager Buchenwald und Dachau nach ihrer Befreiung. 1945 entstand ihr bekanntestes Bild: Sie inszenierte sich in Hitlers Badewanne.
DIE ERMITTLUNG ist ein Ensemblefilm, der das gleichnamige Theaterstück von Peter Weiss aus dem Jahr 1965 auf die große Leinwand bringt. Es basiert auf Aufzeichnungen, Zeitungsartikeln und Protokollen des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses. Als Oratorium in elf Gesängen vermittelt der Film das Grauen des Vernichtungslagers auf eindringliche Weise.
Der Nationalsozialismus ist Geschichte, dennoch lebt sein Gedankengut weiter. In der fiktionale Serie TURMSCHATTEN wird dieses Erbe in der Gegenwart beleuchtet. Nachdem Rechtsradikale die Tochter von Ephraim Zamir, einem ehemaligen Spezialagenten des israelischen Geheimdienstes Mossad, ermorden, nimmt dieser die Täter gefangen und lässt online über ihr Schicksal abstimmen. Die Geiselnahme wird zum Zentrum eines Konflikts zwischen Rechtsradikalen, Demonstrant:innen und den Medien.
EMPFÄNGER UNBEKANNT
Foto: Bert Schmidt
Die deutsche Aufarbeitung: ein Blick von außen
Sohrab Shahid Saless gilt als einer der wichtigsten Filmemacher des Irans. 1974 verließ er sein Heimatland und setzte seine Arbeit im bundesdeutschen Exil fort. Gegen Ende der 70er-Jahre begann er, in seinen Filmen den deutschen Umgang mit der NS-Vergangenheit zu reflektieren. Am 28. Juni 2024 wäre Saless 80 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass zeigt das 41. FILMFEST MÜNCHEN in einer Hommage auf den Filmemacher drei seiner Werke. In ORDNUNG (1980) thematisiert Saless die gesellschaftliche Lethargie bei der NS-Aufarbeitung. Als der Protagonist bei einem Psychiatrieaufenthalt plötzlich „Auschwitz!“ brüllt, wird er vom Personal mit einer Injektion ruhiggestellt. EMPFÄNGER UNBEKANNT (1983) zieht Parallelen zwischen der Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung ab 1933 und dem Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit Migrant:innen der Wirtschaftskrise der frühen 80er-Jahre. HANS - EIN JUNGE AUS DEUTSCHLAND (1985) ist nach Motiven des autobiografischen Romans „Die blaue Stunde” des Schriftstellers Hans Frick entstanden. Der Film zeigt einen Jugendlichen, dessen Vater jüdisch ist, im Frankfurt während und nach der NS-Zeit. Hans, so der Name des Protagonisten, stellt sich stoisch gegen ein feindliches, antisemitisches Umfeld.
FORTRESS MARIUPOL. LAST DAY AT AZOVSTAL
Verteidigung demokratischer Werte: Ukraine im Fokus
Die Ukraine wehrt sich seit mehr als zwei Jahren gegen einen brutalen Angriffskrieg und kämpft dabei für die Erhaltung freiheitlich-demokratischer Werte. Das FILMFEST MÜNCHEN setzt ein Zeichen der Solidarität, indem es in diesem Jahr die Sonderreihe FOCUS ON UKRAINE zeigt. Kuratiert von den Filmemacher:innen Mila Zhluktenko und Daniel Asadi Faezi in Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Filmkollektiv Babylon'13 veranschaulichen die drei Filmprogramme die Notwendigkeit, individuell und kollektiv mit dem Krieg umzugehen.
Die Protagonist:innen sind Soldat:innen und Ersthelfer:innen an der Front. Menschen auf der Flucht sowie Künstler:innen, die ihre Fähigkeiten für das Überleben ihrer Nation einsetzen. Zwar zeigen einige der Filme ungeschönte Bilder der Kriegsrealität – sei es durch dokumentarische Erfassung oder fiktionale Verarbeitung – sie vermeiden jedoch reine Darstellungen von Ohnmacht. Stattdessen legen sie einen Fokus auf den künstlerischen und praktischen Widerstand gegen die russische Besatzung in Mariupol, Kyjiw, nahe Bakhmut oder in den nördlichen Grenzgebieten.
Die Sonderreihe wurde mit Unterstützung der Europäischen Union und der International Renaissance Foundation im Rahmen des Projekts „European Renaissance of Ukraine“ sowie der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit/ Thomas-Dehler-Stiftung realisiert. Der FOCUS ON UKRAINE ist während des FILMFEST MÜNCHEN auch in der Beergarden Convention vertreten. Fünf ukrainische Projekte in Entwicklung werden am 01.07.24 im Amerikahaus vor einem Fachpublikum gepitched.