ORPHEA IN LOVE – Wenn Oper und Kino sich umarmen


Nele, eine junge Frau auf dem Platz vor einem Opernhaus, auf dem Weg zur Arbeit, der unaufhörlich tickende Sekundenzeiger der Uhr und der sie umgebende Baulärm scheinen symbiotisch einen treibenden Takt vorzugeben. Da taucht plötzlich ein junger Mann neben ihr auf und lässt absichtlich einen Gegenstand neben sie fallen, den sie ihm pflichtbewusst hinterherträgt. Wie zum Dank tanzt der Mann, Kolya ist sein Name, wie wir später erfahren werden, im swingenden Takt der Geräuschkulisse um seine neueste Eroberung, mimt irgendwann pathetisch den sterbenden Schwan, nur um charmant Neles vergnügtes Lächeln zu erwidern und dann urplötzlich vor der Polizei Reißaus zu nehmen.
Was anfängt wie ein klassischer Betrugsversuch, entpuppt sich als poetisches Kennenlernen zweier Filmfiguren, und das in einer traumhaften Zauberwelt zwischen Jacques Offenbach, Fred Astaire und LA LA LAND. ORPHEA IN LOVE ist eine bemerkenswerte Melange aus Elementen, die wir nicht nur aus dem Kino kennen, sondern vor allem auch aus der Oper: wo im Kino in der Regel Musical- bzw. Popsongs angestimmt werden, werden hier von den Protagonist:innen technisch höchst anspruchsvolle Arien dargeboten.
Wenn sich Oper und Kino derart umarmen, ist ein Künstler vom Range Axel Ranischs nicht fern: der 39-jährige Regisseur hat nicht nur anerkannte Kinofilme wie ICH FÜHL MICH DISCO und ALKI ALKI gedreht – beide feierten ihre Uraufführung beim FILMFEST MÜNCHEN –, sondern inszeniert auch regelmäßig für die Bühne, zuletzt Engelbert Humperdincks Märchenoper „Hänsel und Gretel“ an der Staatsoper Stuttgart. Seinen ersten eigenen Opernabend durfte er bereits 2013 für die Bayerische Staatsoper gestalten, der er seither verbunden geblieben ist.


Mit seinem neuesten Film verbindet er nun diese beiden Leidenschaften auf kongeniale Weise, indem er den klassischen und für das Musiktheater wie fürs Kino häufig adaptierten Stoff um den begnadeten Sänger Orpheus und seine verlorene Geliebte Eurydike frei bearbeitet: Die junge Callcenter-Mitarbeiterin Nele (Mirjam Mesak vom Ensemble der Bayerischen Staatsoper) steht in ihrem Leben an einem Punkt, wo sich die Realität und ihre Träume am weitesten voneinander entfernt haben und sie auch jedes Zutrauen in sich, aber auch die Liebe, verloren zu haben scheint. Immer wieder tauchen auch die Dämonen der Vergangenheit auf; nur ihre unbeachtet gebliebene kraftvolle Gesangsstimme spendet ihr Lebensenergie und Halt. Da lernt sie unvermittelt den kleinkriminellen Straßentänzer Kolya (Guido Badalamenti von der Ballettkompanie des Gärtnerplatztheaters) kennen.
Während Nele ihre Gefühle mittels ihres glasklaren Soprans zum Ausdruck bringt, stellt Kolya sein Innenleben mit ausdrucksstarkem und lebensfrohem Tanz dar. Zwischen beiden entsteht eine geradezu magische Verbindung; sie verlieben sich – doch plötzlich reißt das Schicksal sie brutal auseinander. Weil Nele ihre große Liebe unbedingt zurück möchte, begibt sie sich auf der Suche nach Kolya wie Orpheus in die Unterwelt, wo sie mit ihren eigenen Dämonen konfrontiert wird und dabei letztlich lernen muss, ihr verloren gegangenes Vertrauen wiederzufinden. Am Ende steht sie vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens – ihre Gesangsstimme oder die Liebe?
Axel Ranisch macht aus dem antiken Mythos ein Fest für Augen und Ohren. Ihm gelingt ein modernes und dennoch traditionsbewusstes Opern-Pasticcio zwischen Puccini und Christian Steiffen, mit großartigen gesanglichen Beiträgen (es musizieren das Bayerische Staatsorchester und der Chor der Bayerischen Staatsoper unter der Leitung von Antonino Fogliani, Stefan Soltesz, Ivor Bolton) und einem tollen Schauspiel-Ensemble, u. a. Ursula Werner, Ursina Lardi und Heiko Pinkowski.
Insbesondere Hauptdarstellerin Mirjam Mesak ist hervorzuheben, die ihr stimmliches Talent bereits vielfach an der Bayerischen Staatsoper unter Beweis gestellt hat und in diesem Jahr dafür gemeinsam mit ihrem Ensemble mit dem renommierten International Classical Music Award ausgezeichnet wurde. Sie weiß hier obendrein mit einer beeindruckenden Kamerapräsenz zu überraschen, bei der sie die Hauptfigur in jeder Sekunde glaubhaft verkörpert.

Die zahlreichen Gesangseinlagen sind nie beliebig gesetzt, sondern stehen immer im Dienst der übergreifenden filmischen Erzählung. Die rauschhafte Visualität (Bildgestaltung: Dennis Pauls) verbindet die Drehorte an der Ostseeküste und dem Münchner Stadtzentrum ideenreich zu einem imaginären Handlungsort und trägt einen gewichtigen Teil dazu bei, dass man es hier nicht einfach mit abgefilmtem Musiktheater zu tun hat, sondern vielmehr einem genuinen Grenzgänger zwischen den Kunstformen, den es so aus Deutschland noch nicht gab.
ORPHEA IN LOVE ist eine Produktion von Sehr gute Filme, schöne neue filme und EuroArts Music International in Koproduktion mit Bayerische Staatsoper, BR/Arte und Shoot'n'Post und im Verleih von missingFILMs. Offizieller Kinostart ist der 30. März 2023.
Gefördert durch: BKM, DFFF, FFF – Bayern, MV-Filmförderung
Die Weltpremiere des Films findet am Samstag, dem 17. September 2022 um 20:30 Uhr im Nationaltheater München statt. Karten (€15/erm. €8) gibt es ab sofort hier im Vorverkauf. Weitere Informationen zur Veranstaltung finden Sie hier.